Werden wir Geiseln unserer Energierechnung?

/Der Verband Privater Bauherren behauptet, mehr als 40 Prozent der neu fertiggestellten Ein- und Zweifamilienhäuser entsprächen nicht einmal den gesetzlichen Mindest-Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV). Können Sie das nachvollziehen?

Lothar Kreutz: Ich kann Statistiken anderer ohne nähere Prüfung schlecht beurteilen – die Grundaussage trifft aber zu. Sie deckt sich mit unseren Untersuchungen. Rund 4.000 eigene Objekt-Bewertungen wurden von der DEKRA herangezogen. Die Mehrzahl der geprüften Einfamilienhäuser waren im Prinzip nicht ernsthaft zu beanstanden, schlimmstenfalls mit kleineren, unkompliziert zu behebenden Fehlern behaftet. Unterm Strich aber summierten sich im Schnitt die festgestellten Mängel zu einem Schadenswert pro Haus von mehr als 10.000 Euro. Es ist tatsächlich unübersehbar, dass eine erschreckend große Zahl nicht nur älterer, sondern auch neu übergebener Einfamilienhäuser die vorgeschriebenen gesetzlichen Mindeststandards der EnEV nicht einhält.

Man bekommt doch aber als Bauherr sogar extra Papiere dafür. Wärmeschutzberechnung, Energieausweis und so weiter gehören regulär zum Vertragsbestandteil. Sind bei den kritischen Objekten diese Energieberechnungen falsch oder werden sie „nur“ nicht in die Praxis umgesetzt?
Lothar Kreutz: Beides. Beim Neubau von Einfamilienhäusern ist mehr als jede zweite Energieberechnung falsch oder geht von falschen Voraussetzungen aus. Dazu kommt dann tatsächlich noch ein weiterer Prozentsatz zwar sachlich richtig berechneter Wärmeschutz- oder Energie-Bedarfsnachweise, die dann aber bei der Bauausführung nicht oder nur auf mangelhafte Weise umgesetzt wurden.

Lassen Sie uns mal kurz in die Kammer des Schreckens blicken und nennen Sie uns ein Praxisbeispiel für solche Energie-Schönrechnungen.
Lothar Kreutz: Da wird eine Wärmepumpe mit eingerechnet, die es überhaupt nicht gibt, oder eine Fußbodenheizung kalkuliert, die dann aber nicht, wie vorgesehen, in jedem Raum individuell gesteuert werden kann. Beheizte Kellerräume werden berechnet, die später gar nicht beheizt werden können

Kontrolliert das in der Praxis niemand?
Lothar Kreutz: Selten. Fast nie. Das ist ja auch nicht zwingend vorgeschrieben.

Ist der tatsächliche Energieverbrauch, spätestens ablesbar an den Jahreskostenbescheiden, nicht sowieso die einzig entscheidende Antwort auf die Frage, ob das Haus die vertraglich vereinbarte energetische Klasse hat? Also für ein Niedrigenergiehaus nach EnEV nicht mehr als die zulässigen maximal 7 Liter Heizöl Verbrauch pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr beziehungsweise dessen Äquivalent in Gas und Strom. Bei vertragsgemäßem KfW 60-Niveau dementsprechend 6 Liter pro Quadratmeter jährlich, bei KfW 40 dann 4 Liter – ist diese Vorstellung naiv?
Lothar Kreutz: Das wäre so verführerisch einfach, dass genaueres Hinschauen lohnt. Auch mich interessiert als Eigentümer in erster Linie, dass mich das Bewohnen meines Hauses unterm Strich so wenig wie möglich kostet.

Gerne! Wo ist das Problem?
Lothar Kreutz: Dass Sie sich beim Neubau wie bei der Sanierung vorher entscheiden müssen, welches Energieniveau für Sie am besten passt. Sie werden den von Ihnen gewünschten, möglichst niedrigen Energieverbrauch ja zu beherrschbaren Kosten herbeiführen wollen. Beispiel: Der Niedrigenergiehaus-Standard ist definiert durch einen Heizwärmebedarf von höchstens 70 kWh pro Quadratmeter und Jahr. Die nach den Förderrichtlinien der KfW benannten KfW-60- und KfW-40-Standards wiederum schreiben einen PRIMÄRENERGIEBEDARF für Warmwasser und Heizung von weniger als 60 beziehungsweise 40 kWh(m2a) vor. Wobei hier nicht die Wohnfläche, sondern die Gebäudenutzfläche als Rechenbasis heranzuziehen ist. Zudem muss der spezifische TRANSMISSIONSWÄRMEVERLUST mindestens 30 beziehungsweise 45 Prozent unter den in der Energieeinsparverordnung festgelegten Höchstwerten liegen.

Der Passivhaus-Standard wiederum ist definiert durch einen Heizwärmedarf von maximal 15 kWh(m2a) bei einem Primärenergiebedarf von unter 120 kWh(m2a). Wobei hier ausdrücklich der Haushaltsstrom einbezogen ist. Als anzurechnende Fläche ist in diesem Fall aber die beheizte Wohnfläche definiert. Verstehen Sie jetzt, weshalb ich bei einer Verbrauchsangabe immer gern wissen möchte, wie sie zustande gekommen ist?

Ja. Wir sehen vor allem erhebliche Schwierigkeiten für Hausbesitzer und Bauherren, Angebote zu vergleichen und zu bewerten. Ist es trotzdem möglich, den Stand der Energie-Dinge deutscher Einfamilienhäuser zu skizzieren?
Lothar Kreutz: In den 60er- und 70er-Jahren errichtete Wohnhäuser haben unsaniert einen Jahres-Heizwärmebedarf von rund 300 kWh pro Quadratmeter. Die Wärmeschutzverordnung von 1994 schrieb für Neubauten einen Heizwärmebedarf von 54 bis 100 kWh(m2a) vor. Den derzeit geltenden Stand hatten wir schon gestreift: Die Energieeinsparverordnung fordert für Niedrigenergiehäuser einen Heizwärmebedarf von 40 bis 70 kWh(m2a).

Können Sie den Stress von Eigentümern verstehen, die ihr in die Jahre genkommenes Haus energetisch gern auf den neuesten Stand bringen würden, aber von jedem, den sie fragen, einen anderen Rat bekommen?
Lothar Kreutz: Das kenne ich auch. Ruft man den Heizungsbauer an, sagt der: neue Heizung. Der Fensterbauer empfiehlt, unbedingt die Fenster zu tauschen. Der Dachdecker rät natürlich: Fang am Dach an! Am Ende ist man als Hausbesitzer völlig verunsichert, wer einen wirklich gut berät, was tatsächlich am meisten nottut und wo das Geld am besten investiert ist.
Einen von der DEKRA?
Lothar Kreutz: Würde ich wärmstens empfehlen.

Womit würden Sie selber anfangen?
Lothar Kreutz: Ich würde zuerst nach möglichen Hauptursachen für offenkundig hohe Energieverluste suchen, die Schwächen und Lecks orten. Danach sieht man klarer, mit welchem Aufwand der Verbrauch am besten gesenkt werden kann und welche Investition sich am schnellsten amortisiert. Ich würde zum Beispiel kaum als Erstes die Heizung austauschen.

Warum?
Lothar Kreutz: Wenn das Haus zum Beispiel nicht richtig gedämmt ist, verliere ich trotzdem viel Energie. Und brauche zudem sogar eine größer dimensionierte Heizung, als wenn die Energieverluste über die Haushülle geringer wären.

Wärmedämmung zuerst?
Lothar Kreutz: Gute Dämmung ist energetisch nicht das allein Seligmachende, aber eine wichtige Voraussetzung. Die Dämmung des Daches bringt erfahrungsgemäß eine Energieeinsparung von 15 bis 20 Prozent, die Dämmung der Wände nochmals 25 Prozent. Mit der Dämmung der Decke von ungeheizten Kellerräumen lassen sich weitere 5 bis 8 Prozent sparen. Der Fensteraustausch kann ebenfalls Einsparungen von 10 bis 15 Prozent Heizenergie bringen.

Der in der DEKRA-Eigenheimstudie zutage tretende erschreckende Sanierungsstau besagt doch auch, dass viele Hausbesitzer lieber auf günstigere Zeiten und bessere Preise warten wollen – und erst einmal gar nichts tun. Grundsätzlich richtig – oder prinzipiell falsch?
Lothar Kreutz: Es ist prinzipiell falsch. Wir werden nie wieder eine Situation haben, in der Energie- und Heizkosten so billig wie in der Vergangenheit werden. Außerdem schreibt die Neufassung der Energieeinsparverordnung vor, dass ab 2009 Neubauten 30 Prozent energieeffizienter sein müssen als bisher. Nach dem jüngst verabschiedeten Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz soll zudem der Anteil erneuerbarer Energien zur Deckung des Wärmebedarfs eines Hauses bis 2020 von jetzt gut 6 auf 14 Prozent steigen, was mit Sicherheit künftig die Vorschriften für Sanierungsmaßnahmen verschärfen wird.

Am Beispiel, bitte?
Lothar Kreutz: Nehmen wir ein Einfamilienhaus Baujahr 1970 mit 190 Quadratmeter Wohnfläche, frei stehend, unsaniert, mit Standardheizkessel. Schon die zeitgemäße Dämmung aller Heizungs- und Warmwasserleitungen und der Einbau eines Gas- oder Öl-Brennwertkessels plus Solaranlage für die Warmwasserversorgung kann bei rund 10.000 Euro Investition zu einer jährlichen Heizenergieeinsparung von bis 1.400 Euro führen, folglich zu einer Amortisation in gut 7 Jahren.

Auf welche typische Fehler stoßen Sie vor allem in der Bauausführung?
Lothar Kreutz: Fangen wir beim Keller an. Da sind zwar die Außenwände, häufig jedoch nicht der Boden gedämmt. Wird ohne Keller, dafür mit Bodenplatte gebaut, fehlt oft die Dämmung an den Stirnseiten.
Sozusagen ein Klassiker unter den Mängeln sind Wärmebrücken. Typisch dafür: ungedämmte Rollladenkästen, Balkonplatten oder Vordächer. Bei Energiesparhäusern sind Kalt- und Warmräume nicht konsequent getrennt. Oder Dämmstoffe, laut Energieberechnung vorgesehen, werden nicht in der erforderlichen Stärke oder Qualitätsklasse eingebaut. Auch an der vorgeschriebenen Rohrisolierung wird gespart – so könnten wir jetzt das ganze Ojekt durchgehen.

Was können Bauherr oder Käufer tun, um sich sowohl vor geschönten Berechnungen als auch vor solchen Ausführungmängeln zu schützen?
Lothar Kreutz: Zunächst sollte die Ausführung regelmäßig auf der Baustelle kontrolliert werden, namentlich wenn Wärmedämmung eingebaut wird. Der Keller sollte begutachtet werden, bevor die Baugrube verfüllt wird, die Dachdämmung, ehe die Schrägen verkleidet werden, die Dämmung der Heizleitungen, solange sie zugänglich sind. Ein Sachverständiger kann schließlich auf Plausibilität prüfen. Im Vertrag sollten die angestrebten Werte festgehalten werden, ebenso der Blower-Door-Test, mit dem das Haus auf Luftdichtigkeit geprüft wird, und eine thermografische Aufnahme, die eventuelle Wärmebrücken aufzeigt. Nachweise dieser Tests sollten im Festpreis des Bauunternehmens enthalten sein.

Wie schätzen Sie denn den Stand der Energieeffizienz bei deutschen Wohnbauten international ein?
Lothar Kreutz: Wenn es möglich ist, den Energieverbrauch eines Einfamilienhauses auf ein Zehntel zu senken, sollte man es tun, solange die Energiepreise überhaupt noch Entscheidungsraum lassen. Was den Neubau betrifft, steht und fällt alles mit der Entscheidung für den richtigen Hausanbieter oder Architekten: Dorfklasse oder Champions League, energetisch von gestern oder qualitätsgeprüft und zukunftssicher – das entscheidet allein der Auftraggeber.
DEKRA Bau und Energie

– Die DEKRA, 1925 in Berlin als „Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein“ gegründet, ist mit fast 18.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 1,4 Milliarden Euro in Europa die größte und weltweit die drittgrößte Prüfgesellschaft. Im Unterschied zum TÜV bundesweit einheitlich vertreten, hat sich die DEKRA einen exzellenten Ruf für neutrale technische Überwachung erarbeitet.
– Zu den Dienstleistungen gehören Bau-, Energie- und Schadensgutachten, die Wertermittlung von Immobilien, die Überprüfung von Bauvorhaben, Sanierungen und Innenraumschadstoffen – besorgt von DEKRA Real Estate Expertise, der Gesellschaft zur Immobilien-Beurteilung. Zentrale: Saarbrücken, Niederlassungen europaweit.
– Die DEKRA stellt sowohl den verbrauchs- als auch den bedarfsorientierten Energieausweis mit Kundentermin in Verbindung mit einer Energiepotenzialanalyse aus. Der Bedarfsausweis enthält zudem ein schriftliches Gutachten mit konkreten Sanierungsvorschlägen für das betreffende Gebäude.

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