Plusenergie-Architektur: Was sich nicht verstecken lässt, sollte man zeigen

Gerd Kallentin (50), Architekt aus Erkelenz, hat in 24 Jahren mehr als 2.200 ambitionierte Einfamilienhäuser im Rheinland entworfen. Ende der Einfalt: Hier entwickelt er Ideen, wie sich „Plusenergiehäuser“ mit ihren markanten Solarpaneelen auf neue Art in moderner Architektur realisieren lassen.

Kommt mit den neuen „Plusenergiehäusern“ das altdeutsche Satteldach plötzlich zu neuen Ehren?

Gerd Kallentin: In ländlichen Bereichen mag das sein, aber im urbanen Umfeld kann ich mir das nicht vorstellen. Klassische Landhäuser sind bei meinen Kunden seit Jahren nicht mehr aktuell. Sie bevorzugen eine moderne, eher städtisch geprägte Architektursprache.

Aber die Post-Bauhaus-Kuben mit ihren Flachdächern bieten die für solare Effizienz als optimal ausgerufenen 30 Grad Neigung nicht. Die Gestelle, mit denen die Paneele auf den schicken puristischen Baukörpern dann irgendwie noch in die Sonne gewinkelt werden, stören eher in ihrer Hilflosigkeit.

Gerd Kallentin: Sie sehen aus wie gewollt und nicht gekonnt! Wenn der Architekturidee eines Hauses durch Aufpfropfen stilistisch fremder Elemente Gewalt angetan wird, sieht man das. Die für „Plusenergiehäuser“ unverzichtbaren Solarflächen von 60, 70, 80 Quadratmetern sind in ihrer Materialität, Farbigkeit und ganz eigenen stilistischen Wirkung so dominant, dass sich nur eine einzige Lösung anbietet: Sie konzeptionell zu einem strahlenden Solitär zu machen. Der die Modernität der Architektursprache nicht karikiert, sondern im besten Sinn des Wortes selbstbewusst als selbstverständlich betont.

Das bedeutet praktisch was?

Gerd Kallentin: Das heißt, diese dominanten Solarflächen von Anfang an als gestalterisches Mittel einer neuen Moderne zu betrachten. Mit dem sich, wenn der Bauherr diese Chance wahrnimmt, auch einer gewissen Einförmigkeit minimalistisch weißer Kuben beikommen ließe.

In Ihren „Plusenergiehaus“-Entwürfen sind die Paneele solarblau. Es gibt aber auch schwarze und rote.

Dieses strahlende Blau erfüllt mit seinen glänzenden Metallrahmen seine neue Rolle als Solitär einer ansonsten eher puristischen Architektursprache ganz gut. Das funktioniert auf seine Weise sicher auch mit anderen Farben; aber die sind ja nicht das Problem.

Sondern?

Gerd Kallentin: Die knallharten deutschen Bauvorschriften. Nicht nur die Größe der zu bebauenden Fläche auf dem Grundstück, auch die Lage des „Baufensters“, die erlaubte Geschossfläche, meist auch die maximale Traufhöhe, oft die Ausrichtung des Gebäudes, mitunter sogar die Farbe der Dachpfannen sind verbindliche Vorgaben für den Architekten. In den meisten Fällen spielten technische Voraussetzungen für „Plusenergie“ Architektur bei der Festlegung der örtlichen Bauvorschriften vor zig Jahren keine Rolle.

Da bleibt nur die Hoffnung auf Ausnahmegenehmigungen?

Gerd Kallentin: Ich bevorzuge Ausnahmearchitektur. Man darf doch von seinem Architekten erwarten, dass er für neue Anforderungen auch neue konzeptionelle Ideen entwickelt. Wenn der Bauherr unter den nun mal gesetzten Rahmenbedingungen ein „Plusenergiehaus“ von mir geplant haben möchte, muss ich die Solarflächen von den starren Bindungen an den Baukörper befreien. Plötzlich lassen sich neue Flächen und Neigungen schaffen, die trotz anfangs vielleicht „ungünstiger“ Voraussetzungen die Paneele dennoch in eine optimalere Ausrichtung zur Sonne bringen – und dem Gebäude selbst eine neue, eigene Spannung geben.

Ohne die Bauvorschriften zu verbiegen?

Gerd Kallentin: Vorschriften sind ja nicht der Todfeind der Kreativität, sondern auch eine immer wieder reizvolle Motivation.

Denk-Tabus zu durchbrechen scheint eine Ihrer großen Vorlieben zu sein: Statt Solarflächen ihrem Wesen nach eckig zu denken, „spielen“ Sie auch runde Formen durch. Im Ernst?

Gerd Kallentin: In unserer klassisch eckigen und kantigen Architekturwelt ist jede runde Form, sogar schon ein einzigen rundes Fenster, Signal von Besonderem. Warum also sollten besonders moderne Hauskonzepte nicht mit besonderen Formen auf sich aufmerksam machen? Genau genommen sind es ja auch Vielecke, die solch exklusiven Entwürfen den eleganten Schwung bringen. Wenn das Grundstück es hergibt, kann ich mir Solarelemente nicht nur auf dem Dach, sondern auch als Gartenskulpturen vorstellen. Das wäre dann wirklich außergewöhnlich.

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