Haus als Ladestation für Elektroautos

/Herr Staatssekretär, wir erleben selten, dass die Politik schneller ist als die Branchenbesten in der Wirtschaft. Wie ist Ihnen das gelungen?

Rainer Bomba: Die Idee kam mir Ende 2009, als ich hier im Ministerium angefangen habe: Lasst uns doch die beiden großen Themen, Bauen und Mobilität, strategisch zusammen denken. Wenn wir Häuser bauen können, die selbst mehr Energie produzieren, als ihre Bewohner benötigen – könnten wir diese Energie für Elektromobilität nutzen? Einmal ausgesprochen, leuchtet es jedem, unabhängig von Parteien, Konfessionen und Ideologien, ein: Mein Haus – mein Kraftwerk – meine Tankstelle! Unternehmen wie Schwörer, Weber oder Bien-Zenker, mit denen wir im Bundesexpertenkreis „Bau“ dieses Thema forciert haben, sagten sofort: Das machen wir, das ist gut!

So was muss ja auch schnell gehen, weil die Konkurrenz nicht schläft. Ich möchte natürlich nicht, dass aus China oder Japan zu uns kommt, was alle Voraussetzungen hätte, ein nachhaltiger deutscher Exportschlager zu werden! Energiewende ist ja nicht nur für uns Deutsche ein zentrales Thema – es gibt derzeit keine sinnvolle Alternative, überkommene Energiegewinnung durch Eigenproduktion direkt am Verbrauchsort zu ersetzen. Immense CO2- Einsparung inklusive.

Wir haben hierzulande exzellente Köpfe, die das Thema vorantreiben: Professor Hegger aus Darmstadt, der weltweit Preise eingeheimst und dessen Haus im Rahmen des Decathlon-Wettbewerbs in Washington den ersten Platz gewonnen hat. Oder Professor Sobek aus Stuttgart, der das „Effizienzhaus Plus“ in Berlin entworfen hat. Stufe eins war: Wir bauen ein Plusenergiehaus in Berlin und beweisen, dass es auch als Basis für moderne E-Mobile funktioniert. Das hat geklappt. Stufe zwei: Wir bauen größere Einheiten, zum Beispiel in Innovationsparks, wo mehrere dieser Häuser stehen und Elektromobilität in Alltagsfunktion gezeigt wird. Ziel muss sein, dass wir, wesentlich früher als gedacht, Plusenergie als Standard etablieren.

Was sind denn neben der Photovoltaik für Sie die wichtigsten Bestandteile des Plusenergiekonzepts? Speichertechnik? Energiemanagement?

Rainer Bomba: Zur Energiegewinnung gibt es mehrere spannende Entwicklungen: bei der Photovoltaik zum Beispiel diese ganz flachen, elegant schwarzen Hochleistungsmodule. Dann die Wind-Flachturbine. Man braucht fortan kein riesiges Rad mehr, diese kleine Turbine wandelt schon den leisesten Wind in Strom um. Dazu die Oberflächengeothermie.

Energiemanagement ist wichtig, um den produzierten Strom intelligent einzusetzen. Ihn entweder in einem Batteriepuffer, der auf jeden Fall dazu gehört, zu bunkern oder ins Netz einzuspeisen, wenn der Speicher voll ist. Intelligentes Management entscheidet auch, wann Waschmaschine, Trockner, Gefriergerät am effizientesten betrieben werden. Es sorgt dafür, dass die Abluftenergie im Haus mit einem Wärmetauscher genutzt wird. All das mit möglichst einer einzigen einfachen Steuerungseinheit, die selbst die Oma sofort bedienen kann. So ein Haus muss Everybody‘s Darling sein.

Mitunter wird Plusenergiestandard lediglich als weitere Dicker-Dämmen- oder als verschärfte Energiesparrunde missverstanden. Dazu die Töne des Bundesverbands der Bedenkenträger: „Zu neu!“, „Zu teuer!“, „Rechnet sich nicht!“…

Rainer Bomba: Das Alte schlägt immer um sich, wenn es Neuem, Besserem Platz machen muss. Die neue Plusenergietechnik bedeutet derzeit Mehrkosten von rund 15 Prozent des Einfamilienhaus-Neubaupreises, also zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Die amortisieren sich sehr wohl! Rechnen Sie mal mit: Sie zahlen im Einfamilienhaus für Strom und Heizenergie pro Jahr und Haus zu heutigen Preisen durchschnittlich 2.000 bis 3.000 Euro. Dazu kommt der Sprit fürs Auto von noch einmal 3.000 Euro – das ist eher niedrig gegriffen. Den weiteren Spareffekt, dass Elektroautos steuerbefreit sind, lassen wir mal außen vor. In jedem Fall sind wir bei Jahresenergiekosten für das Haus und ein Auto von mindestens 6.000 Euro. Das heißt, innerhalb von sieben, sagen wir großzügig in zehn Jahren, hat sich der Zusatzaufwand amortisiert!
Ein teurer Spaß ist es aber dennoch.

Rainer Bomba: Auch Plusenergietechik wird über die Menge bezahlbarer. Als Anschub haben wir dieses strategische Thema im ersten Jahr mit 1,5 Millionen Euro gefördert, 2012 nehmen wir 6,5 Millionen dafür in die Hand. Aktuell gibt es Vorschläge, neben der CO2-Sanierungsförderung und den KfW- Förderprogrammen auch Planungskosten für Plusenergiehäuser zu übernehmen. Richtig ins Laufen kommen muss das aber letztlich ohne Zuschüsse.

Beim Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern ist das zweifellos eher machbar als im Mehrfamilienhaus, noch dazu im Bestand.

Rainer Bomba: Ich habe vorhin von meinem Stufenplan gesprochen. Der Mehrgeschossneubau gehört zur Stufe zwei. Die Bestandssanierung ist die Stufe drei. Ziel ist zu beweisen, dass in allen Kategorien ein bezahlbarer Plusenergiestandard möglich ist. Dazu sind Wettbewerbe wichtig, die von Forschungs- und Förderprogrammen begleitet werden. Auch im Rahmen einer grundlegenden Sanierung im Bestand – wie sie etwa alle 40 Jahre fällig ist. Wir führen dazu gerade einen entsprechenden Wettbewerb in Neu-Ulm durch, der zeigen soll, welche Konzepte sich dafür anbieten.

Ein Energieversorger, mit dem wir im Gespräch sind, macht etwas ähnliches im Ruhrgebiet. Es ist wichtig zu zeigen, dass man auch den Bestand unserer 40 Millionen Wohneinheiten auf Plusenergieniveau sanieren kann. Einfach 20 Zentimeter Styropor auf die Wand zu kleben und uns später Gedanken zu machen, wie wir das alles mal entsorgen, war in meinen Augen noch nie die Lösung. Die Industrie muss nun liefern. Wir können einfach nicht unendlich lange herumforschen, während andere die Sachen auf den Markt bringen. Was uns bei den Solarzellen passiert ist, darf sich nicht wiederholen.

Wenn das neu gebaute Holzfertighaus der Maßstab ist, müsste die Haustechnik schleunigst die Innovationsqualität der Haushülle erreichen. Man hat den Eindruck, die ist – bis auf Ausnahmen – derzeit 20 Jahre zurück.

Rainer Bomba: Für die zurückliegenden Jahre mag das mitunter zutreffen. Ich bin aber auch als Ingenieur außerordentlich überrascht, wie schnell dort jetzt neue Ideen umgesetzt werden. Als ich 2005 selber gebaut habe, waren Pelletsheizungen das große Thema. Jetzt denke ich darüber nach, mit Photovoltaik nachzurüsten, kombiniert mit Oberflächengeothermie und einer Flachturbine. Vielleicht sogar zusammen mit einer Brennstoffzelle …

Dem neuen Plusenergiestandard lieber gleich als später zum Durchbruch am Markt zu verhelfen, heißt aber auch: Abschied von der Idee zu sparen und zu dämmen, bis der Arzt kommt, oder?

Rainer Bomba: Mit der nächsten Energieeinsparverordnung die Dämm- und Sparauflagen weiter zu verschärfen, ist nicht mehr zielführend. Die Vorgabe künftiger EnEV sollte lauten: Gebäude produzieren ihre benötigte Energie selbst. Mindestens.

Ist im anbrechenden Plusenergiezeit alter nicht auch der geplante Netzausbau zu überdenken? Weg von den „Stromautobahnen“ der zentralen Versorger, hin zum dezentral organisierten intelligenten Netz regionaler Einspeiser?

Rainer Bomba: Energie für Wohnen und Mobilität machen zusammen 70 Prozent unseres Primärenergieverbrauchs aus. Wenn wir in absehbarer Zeit einen Großteil der Häuser in den Plusenergiestandard heben und das ganze Jahr über mit verlässlichen Überschüssen betreiben …

… brauchen wir die vielen und teuren neuen Supernetze womöglich gar nicht!?!

Rainer Bomba: Vorsichtig. Momentan könnte es in einem harten Winter tatsächlich Probleme geben. Natürlich braucht die Industrie ausreichend günstigen Strom. Wir müssen durchsetzen, dass deutscher Ingenieurgeist endlich die lange vor uns hergeschobenen Energieprobleme durchgreifend löst. Wenn ich wirklich in der Lage bin, mein eigenes Haus als Kraftwerk und Tankstelle zu betreiben, mich energetisch autark zu machen – welche Argumente bleiben dann noch für die Vielzahl derzeit geplanter großer 380-Kilovolt-Trassen?

In Ihrem Konzept sind Plusenergiehaus und E-Mobile zwei Seiten derselben Innovationsmedaille. Im Gegensatz zum Haus besteht das E-Auto bisher eher aus großen Hoffnungen, Ankündigungen – und Enttäuschungen.

Rainer Bomba: Die deutsche Autoindustrie hat derzeit 15 Elektrofahrzeuge in der Pipeline. Die kommen in den nächsten drei Jahren auf den Markt. Wichtig ist, dass wir keine Schnellschüsse machen. Dass wir Weltklasse-Qualität auf den Markt bringen – aber in Autos, die auch bezahlbar sind. Neben Funktionalität und Reichweiten spielen die Anschaffungs- und Betriebskosten die entscheidende Rolle. Einem jungen Paar, das sich ein Haus bauen will, muss ich vermitteln: Beide fahren am Tag 20 oder 30 Kilometer zur Arbeit und wieder zurück, die Mutter vielleicht ein paar mehr wegen diverser Kindertransporte. Dafür ist ein Elektroauto ideal. Also baut euch ein Plusenergiehaus, produziert damit eure eigene Energie, ladet eure Autos abends auf, und ihr habt weder Energiekosten fürs Haus noch fürs Auto. Das ist es doch.

Wir haben viele Jahre gebraucht, um die besten Autos der Welt zu bauen. Wenn Sie deren heutige Produktpalette anschauen – die kann sich sehen lassen. Ich gehe fest davon aus, dass wir Deutschen beim Thema Elektromobilität eine dominierende Rolle spielen werden. Ich will nichts schönreden, das ist ein gewaltiges Thema. Wir waren bei der Elektromobilität anfangs nicht vorn dabei. Die deutsche Autoindustrie hat aber die Zeichen der Zeit erkannt. Dazu gehört übrigens auch, neben dem Elektroantrieb Benzin- und Dieselmotoren ebenfalls weiterzuentwickeln. Wir müssen dort noch einmal 20 bis 25 Prozent herausholen. Beim Verbrauch wie beim CO2-Ausstoß. Wir können schließlich nicht so tun, als würden nächste Woche neun von zehn Autos bei uns elektrisch betrieben. Dass der Liter Diesel demnächst 2,50 Euro kostet, ist eine sehr naheliegende Vorstellung. Aber auch das bestätigt nur ein weiteres Mal, dass es zum Konzept „Mein (Plusenergie-)Haus, meine Energietankstelle“ keine Alternative gibt. Der Anfang ist gemacht, jetzt müssen wir durchstarten.

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